„To Cook a Bear“ bei Disney+: Ein Pastor auf Mörderjagd
Wenig mögen die Armen im Dorf besitzen, das räumt der Pastor bei seinem ersten Sonntagsgottesdienst gerne ein. Doch verschleuderten sie dieses Wenige an das Böse. Mit dem Puritaner in der Kirche, der predigt, dass man vom „Schlaf der Sünde erwachen“ müsse, sonst sei die Hölle als postirdischer Aufenthaltsort sicher, können die verhärmten Leute im Norden Schwedens zunächst mal nicht viel anfangen. Schmutzige Gesichter starren ausdruckslos, aus einer der Bänke dröhnt ein Schnarchen – nur eine alte Hinterbänklerin juchzt um Vergebung. Eine Lappländerin, eine Same, wie der schwedische Ortspolizist Brahe (Magnus Krepper) dem Kirchenmann mit einiger Herablassung verrät.
Pastor Lars zu seinbem Ziehson, den er die Geheimnisse der Botanik lehren will
Die Stirn des Priesters Lars (Gustaf Skarsgard), dessen Ziehsohn Jussi (Emil Karlsen) auch Same ist, zieht Falten der Missbilligung. Und doch genießt er den Ort, an den ihn und seine Familie die Diözese geschickt hat – er wandert mit Jussi hinaus in die wilde Landschaft und lehrt ihn – außer Gottes Wort und Regelwerk – auch Wissenschaft, um das Werk des Schöpfers zu verstehen, das Leben der Pflanzen, die Geheimnisse der Natur: „Gebrauche deine Augen, Jussi!“
Und diese feine Beobachtungsgabe kommt ihm schon bald gut zupass. Denn sie kommen an einen Tatort. Die samische Magd Hilda ist verschwunden, ihre Leute vertrauen dem Gottesmann schnell, mehr als dem abends eh betrunkenen Brahe. Lars befragt Jussi im Wald nach dessen Eindrücken und Schlussfolgerungen. In den Schatten der Bäume sehen beide aus wie Sherlock und Watson. Abdrücke im Moos verraten, Hilda ist vor irgendetwas weggelaufen. Ein gerissener Hirsch wird tags darauf gefunden, ein „Mörderbär“ geht um, das posaunt der Arzt der Sägemühlenbesitzerin Sjödahl (Pernilla August) ins Ohr.
Pastor Lars beim Gottesdienst
„Das muss schnell gelöst werden“, fordert die reichste Frau gegenüber den Dorfhonoratioren. Und am besten solle auch gleich der freudenfeindliche Pastor verschwinden. Er stört die Dorfkultur, er bringt die Leute auf Gedanken. Madame Sjödahl erklärt ihren Krieg.
Eine Prohibition käme ihren Geschäften schlecht zupass. Und „Cognac und Branntwein sind Satans Pisse“, zetert der Pfarrer, der dann auch noch künftige Kollektengelder den Armen wie Hildas verwitweter Mutter zuspricht. Dem Maler Beronius (Simon J. Berger) gegenüber, der sich das Zerreißen der Magd durch den Bären erregt als Bildmotiv ausmalt, bringt er als möglichen Täter einen Mann ins Spiel. Und sofort fantasiert der Künstler von den Sagen der Samen, denen zufolge Menschen sich in Bären verwandeln können.
Lars zieht die tote Hilda schon am Ende der ersten von sechs Episoden aus dem Sumpf. Er tippt auf Vergewaltigung und Mord und bleibt beharrlich auf seiner Spur. Ein Bär wird geschossen. Fall erledigt. Nur passen die Spuren nicht zu den Wunden auf Hildas Leichnam. Landjäger Brahe, der seine Kompetenz infrage gestellt sieht, wird Lars‘ erbitterter Feind. Und das nächste Mädchen verschwindet. Vorhang auf für einen spannenden Whodunnit-Krimi.
Die karge Gemeinschaft im Norden Schwedens, in Norrland, am Rand der Zivilisation, wird von Autor Jesper Harrie und Regisseur Trygve Allister Diesen eindrucksvoll und detailreich gezeichnet. Ihre frühindustriellen Herrschaftsverhältnisse, ihre sozialen Verwerfungen und Geheimnisse, ihre Traditionen und ihr Aberglauben werden plastisch. Die samische Bevölkerungsmehrheit ist kolonialisiert, christianisiert und von den schwedischen Herrenmenschen diskriminiert.
Eine düstere Welt. Die von den zitternden Celli und den sphärischen Frauenstimmen des Scores von Anne Chmelewsky unterstrichen wird. Aril Wretblads Kamera gibt der Landschaft einen verwunschenen Look. Die Vorlage ist der Historienkrimi „Wie man einen Bären kocht“ (2020) des Autors Mikael Niemi („Populärmusik aus Vittula“) – die Sherlock-Pfeife des Pastors allerdings wirkt albern und aufgesetzt. Dann wieder faszinieren Lasse und sein Watson Jussi als Prä-Forensik-Forensiker: „Gebrauche deine Augen, Jussi!“
Gustaf Skarsgard, zweitältester Sohn von Stellan Skarsgard, den man noch gut als verrückten Schiffbauer Floki aus der Serie „Vikings“ (2013–2020) in Erinnerung hat, spielt in einem starken Ensemble die Hauptfigur, die im Abspann nur „Der Pastor“ genannt wird, überzeugend. Als strengen, im Kern philanthropischen Charismatiker.
Damit entspricht er ungefähr dem, was von dem historischen Lars Levi Læstadius (1800–1861) überliefert ist. Einem evangelischen Geistlichen und Propst, der in Norrland zur Mitte des 19. Jahrhunderts mit feurigen Predigten eine Erweckungsbewegung begründete – den Læstadianismus, der zur größten pietistischen Gruppierung in Schwedens Norden wurde und dort bis heute stark verbreitet ist.
Læstadius hatte in Uppsala Theologie und Botanik studiert, schrieb über die Pflanzenwelt Lapplands und forschte auch als Pfarrer (ab 1825) weiter. Er predigte flammend gegen Alkoholmissbrauch, mit dem viele Samen ihre kulturelle Entwurzelung kompensierten. Dass er einen Serienmörder zur Strecke brachte, ist indes nicht überliefert.
Heute wird er „Apostel der Samen“ genannt.
„To Cook A Bear“, Miniserie, sechs Episoden, von Jesper Harrie nach dem Roman von Mikael Niemi, Regie: Trygve Allister Diesen, mit Gustaf Skarsgard, Ane Dahl Torp, Pernilla August, Magnus Krepper, Emil Karlsen, Tyra Wingren, Jaakko Ohtonen (seit dem 15. Oktober bei Disney+)
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